Blau–Orange wird in der Theorie der Farbenharmonie *1 als eine der „klassischen“ Zusammenstellungen zweier Farben angesehen, insbesondere dann, wenn es sich wie hier, bei den Zweien um sogenannte Gegenfarben *2 handelt. Das Bild ist farblich bestimmt durch die vielfältige Nuancierung von Blau und die eher einfältige Erscheinung von Orange und seiner Aufhellung, den Farben einer stark beleuchteten terracottafarbenen Fassade. Die von Blau dominierte und von Orange gesteigerte Färbigkeit wird bereichert vom purpurfarbenen Schein auf dem mittig im Bild stehenden leicht geneigten Pfosten. Verglichen mit dieser reichen dennoch verhaltenen Farbigkeit und der durch sie hervorgerufenen besonderen Atmosphäre wirken die bunten, aufdringlichen und deshalb wohl Touristen lockenden und begeisternden Farborgien, die es in neuerer Zeit in einigen Quartieren auf Burana gibt, fehl am Platz, ordinär, billig.
Eine solche architektonische Situation braucht keine intensiveren Farben. Die würden hier nur die Ausgewogenheit von Strenge, Kraft, Ruhe und Klarheit gefährden.
Oxydrot, Rosa und Blau sind als Farbklang eher im skandinavischem Kunsthandwerk zu erwarten als bei Mondrian oder in traditioneller, norditalienischer Profanarchitektur. Auf Burana sind Oxydrot, Rosa und Blau mehrmals für Fassaden gewählt. Sie werden begleitet vom Weiß der Fenstereinfassungen und einer dunklen Farbe der Fensterläden, hier Braun, manchmal auch Grün.
Von Rosa bis Magenta
Immer wieder finden sich an den Häusern von Burano Farbklänge wie aus Bildern von Matisse: Er hat äußerst sensibel und vielseitig mit rosa Farben gearbeitet, vom fleischtoningen Carolinenrosa bis zumm Purpurrosa bzw. bis zum Persichrosa, das dem Magenta nahekommt *3. Rosa hat auf Burano seit langem einen festen Platz. Früher war es dort ein durch Witterung verwaschenes oder durch Licht ausgeblichenes Rot oder eine vom Weiß des Kalks aufgehellte rote Erdfarbe. Heute ist es eher ein klares, aufgehelltes Magentarot, ähnlich dem aus der Tintenpatrone des Druckers. So wie es auch von Matisse in seinen Scherenschnitten verwendet wurde.
Sockel und Fassadenfläche sind einander im Farbton sehr ähnlich. Die Sockelzone hat, im Gegensatz zur geglätteten Fassadenoberfläche, eine feine, unregelmäßig aufgetragene Putzkörnung, die aber nicht wirklich einen Sockel ausprägt. Wie im Titelbild so sind es auch hier Gegenfarben, jetzt aber Magentarosa bis -rot und dunkles Gelb – freies Grün, die die stark kontrastierende Farbigkeit bilden.
… so auch hier: Oxydrot, Rosa, Blau. Trotz den im vorletzten Bild sehr ähnlichen Farben ist der Ausdruck jeweils anders und eigenständig durch die formalen und inhaltlichen Variationen.
Gegen das satte Orange und das verletzliche Rosa mit seinem wolkigen Ton-in-Ton-Spiel steht der harte Kontrast von hellster und dunkelster Farbe Weiß und Schwarzbraun. Solche Kontraste sind ein wesentliches Merkmal an den Häusern, entweder gemalt, artifiziell oder als natürliche Licht-Schatten-Erscheinung.
Diese Art von Hautkrankheit ist auf Burano kein Wunder. Wenn die Regeln des Handwerks nicht beachtet werden, dann muß das auf solche Ergebnisse hinauslaufen. Traurig, daß hier kein Denkmalschützer, kein Maler, kein Farbenhändler, kein Vertreter hin zu wirken scheint, daß die Bausubstanz, die sowieso durch Feuchtigkeit gefährdet ist, nicht noch durch Nachlässigkeit Schaden nimmt.
Ein für Burano typisches Beispiel früherer und zum Teil noch heutiger Farbkultur: Farbigkeit auf der Basis der Palette der dort technologisch wie ästhetisch geeigneten Erdfarben, von nicht modisch bestimmten Fensterladenfarben und von Sockelfarben auf denen Fassaden festen Stand haben.
Die Farbspuren im bewölkten Türkisblauweiß lassen erahnen wie viele Farbfassungen der Durchgang schon hat über sich ergehen lassen müssen. Eine frühere Fassung die noch im Bild zu erkennen ist, war die mit der nur als hinterhältig zu bezeichnenden Kombination von klarem Grün oben und sattem, klebrigen Braun unten.
Die Wasseroberfläche erscheint in kühlen Grünnuancen. Im Innern der Vaporetti ist Grün als Farbe aller Oberflächen übernommen worden, – an den Sitzen satter, im übrigen in ähnlichen Tönungen. Das ist sehr angenehm, von leichtem Grün wie von Wasser umgeben zu sein.
*1 s. dazu Andreas Schwarz: Die Lehren von der Farbenharmonie. Göttingen 1998.
*2 Der Begriff Gegenfarben ist besser als der Begriff Komplementärfarben zur Benennung von Farben geeignet, die in ihren Farbtönen keine Verwandtschaft aufweisen. Und das sind nicht nur die Komplementärfarben wie Gelb – Violett, Orangerot – Blau, Magenta – Grün sondern z.B. auch für Gelb – Blau, Grüngelb – Magenta, Grün – Rot, Blaugrün – Orange.
*3 Farbnamen aus Georg Seufert: Farbnamenlexikon von A-Z. Göttingen 1955.
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