Traditionen auf Burano

Torcello starb, während Burano, das nie eine besondere Bedeutung hatte, noch immer lebt und das im Wesentlichen in seiner mittelalterlichen Gestalt und in Fortführung von Traditionen‚ die für Burano charakteristisch sind: die Fischerei, das Klöppeln von Spitzen, das buntfarbige Bemalen der Häuser.

Burano ist eine kleine lnsel (ca. 600 m lang, 450 m breit) im nördlichen Teil der Lagune von Burano und liegt knapp acht km nordwestlich von Venedig, gut fünf km von der Glasbläserinsel Murano entfernt. Gut 100 Meter Wasserfläche trennen es von der Bischofsinsel Torcello, die im Mittelalter mit mehr als 20.000 Einwohnern eine herausragende Stellung in der Lagune hatte, die aber ab dem 13. Jahrhundert mehr und mehr verlorenging.
Das „Färben” der Häuser
Die Tradition der buntfarbigen Bemalung der Häuser ist ungebrochen, ihr entzieht sich kein Hauseigentümer. Jedes Haus hat eine andere Farbe. Das ist Tradition, und das macht Burano so einmalig. Denn kaum irgendwo sonst gibt es ein so geschlossenes Bild prägnanter und außergewöhnlicher Farben und Farbklänge wie dort. Keine der anderen in der Lagune gelegenen Städte wie Murano, Chioggia oder Venedig zeigt auch nur annähernd Vergleichbares an Farbigkeit, und auch keine andere Stadt Italiens, Österreichs, Deutschlands. Allenfalls die Altstadt von Rønne und einige Fischerstädtchen auf der in der Ostsee gelegenen dänischen Insel Bornholm haben eine ähnlich konzentrierte Farbigkeit aufzuweisen.

Bornholm
Die Fischerei
Fischer vom Festland waren wohl ab dem 5. Jahrhundert die ersten Bewohner Buranos. Auch heute noch sind nicht wenige Erwerbstätige in der Fischerei tätig.
Das Klöppeln von Spitzen
Die Kunst des Klöppelns von Spitzen wird vorwiegend von den älteren Frauen praktiziert als – wenn auch gering bezahlte – Nebenerwerbsquelle. In der wieder eröffneten Klöppelschule wird das Handwerk, das die berühmten venezianischen Spitzen hervorbrachte, wieder vermittelt – eine Ausstellung zeigt Spitzenstücke dieser Handwerkskunst.
SPITZENKUNDE:
DEFINITION
Die Herstellung kann mit Nadeln, Klöppeln oder der Häkelnadel erfolgen. > Nadelspitze, > Klöppeln, > Häkeln, > Knüpfen (echtes Macramé).
KLÖPPELN
Die Mustervorlage, der > Klöppelbrief, wird auf einem Kissen befestigt und das aus der Anzahl der zu verarbeitenden Fäden gebildete Fadenbündel auf den Klöppelbrief gesteckt. Auf die in der Mustervorlage markierten Punkte werden Stecknadeln gesetzt, die die verdrehten und verschlungenen Fadengruppen so lange halten, bis sich die Verflechtungen nach Arbeitsfortschritt verfestigt haben. Danach werden die Nadeln wieder entfernt.
HÄKELN
Mit Hilfe von Nadeln in Handarbeit gefertigte Spitze, bei der das Garn ohne Unterlage (frei und in der„Luft“, wie bei der > Nadelspitze) zu Schlingen geformt wird. Die kettenstichähnliche‚ ineinanderhängende Schlingenform wird zu Mustern zusammengefügt. Es entsteht die Häkelspitze, die auch als > Irische Spitze bekannt ist.
QUELLE: © BUCH & MEDIEN VERLAG BUURMAN KG

In memoriam Piet und Georges: ”Vos verts sont très beaux.“ *3
Um 1900
Zu Beginn unseres Jahrhunderts zogen junge, avantgardistische Künstler nach Burano, die sich berufen fühlten, für das Erhalten des architektonischen Erbes von Burano einzutreten, „um eine der wenigen Oasen zu retten, in der eine spontane, ursprüngliche ländliche Architektur blüht, diese Architektur von außerordentlicher Freiheit (Unabhängigkeit) der Fantasie, dennoch von zwingender Nützlichkeit und Funktionalität für die Lebensbedingungen des Fischerdorfes.
Eine Architektur von formaler Kraft und glückhafter Farbigkeit von starkem Ausdruckswert (frei nach „Burano e gli artisti“, in: Emporium 1951) *1 . Auf die Qualitäten, besonders auch der Farbigkeit ländlicher Architektur, hatte in Deutschland einige Jahre vorher, um 1900, schon Alfred Lichtwark, Hamburger Kunsthistoriker, Museumsleiter und engagierter Kultur- und Architekturkritiker hingewiesen.
„Nur die kleinen Leute wie die Fischer und Schiffer am Nord- und Ostseestrand, die ihre naive Freude an der Farbe nicht aufgegeben haben, sind der alten Gewohnheit treu geblieben, ihre Fenster weiß, blau, grün oder in irgendeiner anderen kräftigen Farbe zu streichen.“2
Grenzenlose Freiheit, mit den Farben umzugehen?

Die, sicherlich zufällig entstandene Komposition der Farben ist ungewohnt, abstoßend und umwerfend, ordinär und dabei von einer unbestimmbaren Schönheit, allen Vorstellungen von Harmonie widersprechend. Die Zusammenstellung der Farben und die Konstellation der Gegenstandsformen bilden eine außergewöhnliche Erscheinung. Vordergründiges mit Guckkastenbild von weit hinten. Komponenten der Farbigkeit: Ocker und Gelbbraun, Grün und Schwarz, Blau und Weiß.
Auf Burano, so sagt man, malt jeder sein Haus an, wie er will. Das stimmt so nicht ganz. Denn es gibt, ausgesprochen oder nicht, Übereinkünfte, an die sich fast alle halten:
– Fenstereinfassungen und Gesimse sind hell, häufig rein weiß
– Fensterläden sind dunkel,meist grün
– Türen und Fenster sind in Holztönen belassen.
Das sind die konstanten Farbelemente auf Burano neben den Farben der Dächer und der Gehwege. Sie alle bilden den Rahmen, in dem die mehr oder weniger subjektiv gesetzten Farben der Fassadenflächen gefasst werden, – in dem sie sich aber auch frei entfalten können.
Die Häuser von Burano
Die Häuser von Burano sind zumeist sehr einfach in ihrem Äußeren. Sie variieren hauptsächlich in der Anzahl der Geschosse (zwei bis drei), in der Anzahl der Fensterachsen (häufig zwei, manchmal auch mehr), in den Traufhöhen, in der Ausbildung der Traufgesimse, in den Höhen der Fenster und der Türe.
Die Sichtfelder auf Burano
Die Dachflächen der Häuser sind nur selten in ihrer vollen Größe zu sehen. Einerseits weil die Dachneigungen der Häuser auf Burano flach sind, andererseits weil die engen Gassen größere Distanz zu den Häusern nicht zulassen. Die engen Gassen bedingen zudem, dass das Auge nur relativ kleine Ausschnitte der Fassaden mit einem Blick wahrnehmen kann.
So wird Burano zu einem großen Teil nur über seine Details wahrgenommen, die jedoch außergewöhnlich vielfältige Bilder bieten.

An den Häusern von Burano finden sich Farbklänge von großer Kraft und häufig auch von märchenhafter Ausstrahlung
Alles ist farbig. Das gilt überall, aber ganz besonders auf Burano
Das Erscheinungsbild von Burano ist in erster Linie von der Farbe geprägt. Es ist unendlich reich an Tönen, Schattierungen, Nuancen, Verhaltenem, aber auch Lautem. Vieles präsentiert sich in ganz ähnlichen, äußerst einfachen Bildern, Bildern, die trotz der zurückhaltenden, sparsam gesetzten Motive allein durch ihre Farbigkeit stärker und tiefer wirken als manche weitausholende Erzählung.
Auf Burano hat eben alles seine eigene Farbe …, und die Vergänglichkeit des Farbigen bringt nicht das Farblose hervor, sondern vielmehr eine ganz andere und neue Art von Farbigkeit. Und die Vergänglichkeit des Farbigen erinnert uns daran, dass das Leben auf Burano ganz und gar kein „Kinderspiel“ mit Farben ist. Nein-,das Leben dort ist nicht leichter als anderswo, aber auf Burano versteht man es eben, mit Hilfe der Farbe manches leichter und freundlicher erscheinen zu lassen.
*1 aus: Schmuck; S.: Farbiges Burano. In: Fabe + Design, 2. Ausg. 1975, S. 50-51
*2 nach: Bollerey, F. und K. Hartmann: Farbenstreit und Farbenbund. In: Machnow, H. (Hrsg.): Farbe im Stadtbild, Berlin 1976, S. 17
*3 Gino Severini (italienischer Maler des Futurismus und später auch des Kubismus, der der holländischen De Stijl-Group nahestand) An: Georges Vantongerloo (Bildhauer, Maler und Mitarbeiter an der Zeitschrift „De Stijl“). Nachdem S. Bilder von V. gesehen hatte, in denen Grün eingesetzt war, die Grundfarbe, die aus dem Farbkanon der De Stijl-Gruppe weitgehende verbannt war.
Karte nach: Michelin, Italia, 1991
Weitere Teile des Textes sind aus: Schmuck, F.: Farbe und Architektur Teil 42, 43.
In: Die Mappe 11/96, 12/99
Fotos: Friedrich Schmuck
Friedrich Schmuck Über Farben – Auf Burano © 1998 Friedrich Schmuck. Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Publikation darf ohne Genehmigung des Autors reproduziert, gespeichert oder verbreitet werden.
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